Prostitution ist kein Job wie jeder andere und von »Sexarbeit« nicht zu trennen. Interview von Frauenkampftag.SFO, erschienen in der Jungen Welt vom 26.08.2023. https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/457673.ausbeutung-wird-das-dann-ein-ausbildungs-beruf.html
Diesen Sonnabend findet das Abschlusspodium des „prostitutionskritischen Sommers“ in Magdeburg statt. Warum haben Sie die Veranstaltungsreihe gemacht?
Es gibt einen Widerspruch zwischen der Realität von Prostitution und dem, was liberale Aktivistinnen verbreiten. Als Sozialistinnen wollen wir reale Bilder vermitteln. Wir sehen darin außerdem ein Mittel der Klassenspaltung und fragen uns – frei nach Alexandra Kollontai: Kann denn ein Mann, der eine Frau kauft, auch ihr Genosse sein? Wir sagen: nein.
In einem Vortrag ging es um die Frage: Wie kam die Prostitution nach Magdeburg?
Nach dem Ende der DDR. Die Arbeitslosigkeit explodierte. Frauen verloren ihre ökonomische Unabhängigkeit. Kinderbetreuungsmöglichkeiten fielen weg. Gleichzeitig öffneten überall Bordelle und Pornokinos. Die Frauen und Mädchen waren plötzlich mit einer Objektifizierung der Frau konfrontiert, die es hier vorher gar nicht gab. Auch die Kinderprostitution florierte auf einmal. Die Eltern hatten mit den Konsequenzen der Erwerblosigkeit zu kämpfen. Freizeit-, Kultur- und Sportzentren gab es nicht mehr. In solchen Zeiten haben Menschenhändler und Zuhälter leichtes Spiel.
Wer profitiert von der Prostitution?
In Deutschland werden jährlich schätzungsweise 14 Milliarden Euro mit Prostitution umgesetzt. Wer in Magdeburg genau profitiert, ist nicht so leicht zu überblicken. Die Prostitution findet hier in Hunderten von Wohnungen, im Verborgenen statt. In Magdeburg gab es ein einziges angemeldetes Bordell, das von zwei Neonazis betrieben wurde, die wegen schwerer Gewalttaten vorbestraft waren. Aus Antifabroschüren aus den 90ern geht hervor, dass die Zuhälterringe aus Westdeutschland relativ schnell hier Fuß gefasst haben. Neonazis dienten ihnen als Fußsoldaten. Auch der aktuelle Prozess um die Neonazi-Rockerbande Turonen in Thüringen zeigt uns, dass Prostitution auch für Neonazis heute noch eine lukrative Einnahmequelle ist. Prostitution zu befürworten, bedeutet auch, die Finanzierungsquellen von militanten Neonazis abzusichern.
Wer sind die Freier?
Eine Studie von Udo Gerheim von 2012 ergab, dass 42 Prozent der befragten Freier Abitur und 34 Prozent Fachabitur hatten. Das lag deutlich über dem Bundesdurchschnitt von acht bzw. 14 Prozent. Es ist also immer auch eine Frage des Geldes. Was aber alle Freier unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund eint, ist Frauenverachtung. Ob die Frau das gerade freiwillig macht oder nicht, können sie nicht wissen. Und es ist ihnen egal.
Was ist mit »freiwilligen Sexarbeiterinnen«, deren Interessen Liberale zu vertreten meinen?
Der Begriff wurde in den 1980er von Carol Leigh in den USA eingeführt und soll alle Tätigkeiten, die irgendwie mit Sex zu tun haben, zusammenfassen. Es ging darum, die Frauen zu entstigmatisieren. Bis zu dem Punkt, dass die Frauen nicht kriminalisiert werden dürfen, gehen wir 100 prozentig mit. Aber wir sehen in dem Begriff u.a. eine Verharmlosung. Wenn man sich anschaut, was Freier in die Freierforen schreiben, ist das auf keinen Fall entstigmatisiert, nur weil die jetzt Sexarbeiterin sagen.
Es ist nicht möglich Sexarbeit und Prostitution von einander zu trennen. Für beide gelten die gleichen Gesetze. Es gibt keine andere Schutzfunktion für sie. Und dann muss man auch fragen, ist Freiwilligkeit im Kapitalismus überhaupt möglich?
Welcher Job ist schon freiwillig? Ist »Sexarbeit« also doch ein Job wie jeder andere?
Wenn man das mal zu Ende denkt, was bedeutet das dann? Wird das dann ein Ausbildungsberuf? Sanktioniert mich das Jobcenter, wenn ich einer Tätigkeit im Bordell nicht nachgehe? In jedem anderen Job musst du nüchtern auf Arbeit erscheinen. Im Bordell ist es genau andersherum, wie uns die Aussteigerin Kali in unserer Veranstaltungsreihe erklärte. Auf welcher normalen Arbeit kann man schwanger werden?
Wie viele Prostituierte gibt es, die von sich behaupten, dass sie es »freiwillig« machen?
Man geht davon aus, dass es in Deutschland ca. 400.000 Prostituierte gibt und von denen haben sich nicht einmal 24.000 nach Prostitutionsschutzgesetz angemeldet. Aber auch das sagt noch nichts darüber aus, ob die das nun freiwillig machen oder nicht. Wir bezweifeln nicht, dass es Prostituierte gibt, die das freiwillig machen. Es ist für uns nicht relevant. Prostitution ist ein gesellschaftliches Konstrukt, wodurch wir Frauen unterdrückt werden.
Welche Auswirkungen hat Prostitution auf Frauen insgesamt?
Wir haben am Donnerstag einen Kiezspaziergang in Gedenken an einen Femizid vor elf Jahren in Magdeburg gemacht. Die Frau wurde im Swimmingpool ertränkt, weil sie nicht machen wollte, was der Mann will. Jeden dritten Tag wird eine Frau ermordet. Wir sehen das in einem Zusammenhang.